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8.Mai 2019

Der 8. Mai war der Tag, der lang ersehnte von den einen und der gefürchtete von den anderen, der Tag, an dem sich die Stille des Friedens über die Welt senkte.
Es war der Tag, an dem die Völker Atem schöpfen konnten und sich der Hoffnung hingeben, dass dies ein ausdauernder Zustand werde. Aber schon lag der Zwiespalt über den Wünschen, einer zwischen denen die sich befreit fühlten, den Millionen in den Konzentrationslagern, den Millionen verschleppter Zwangsarbeiter, den geknechteten Menschen in ganz Europa, auch in Deutschland, auch Deutsche atmeten auf, Antifaschisten, anständige Menschen  aus allen sozialen Schichten
und den anderen, die Angst und Sorge verspürten, in eine düstere Zukunft blickten, auf die der Verlust der Heimat wartete.
So konnte  dieser Tag die Last der verbrecherischen Diktatur der Nationalsozialisten abwerfen und musste eine neue Last schultern.


Auch hier in Ilmenau war dies zu spüren. Der jüdische Gebetssaal in der Burggasse wurde 1938 geplündert, das was Menschen heilig, achtlos auf die Straße geworfen und auf dem Marktplatz verbrannt. Jüdische Frauen und Männer später dorthin verschleppt, wo sie zu Tode kamen. In Ilmenauer Firmen schufteten 1440 Zwangsarbeiter, fern ihrer Heimat, ungewiss ihrer Zukunft. 78 von ihnen ruhen hier. Wir wissen um das Wirken einer kleinen Gruppe von Kommunisten um Karl Zink gegen die Nazis aber auch eine Reihe von Familien aus dem heutigen Tschechien musste hier einen Neubeginn wagen, eine neue Heimat finden. Viele Ilmenauerinnen warteten vergeblich auf ihre Männer und Kinder mussten ohne Vater aufwachsen.
Trotzdem dieser 8. Mai 1945 war nicht nur für Russen, Franzosen, Ukrainer, Tschechen, Polen, Griechen, Weißrussen und Esten, ein Symbol der Befreiung von der Nazi Tyrannei. Dieser Tag erlöste die Juden  davor, das gleiche Schicksal wie die sechs Millionen von ihnen zu erleiden, die
die in den Nazi-Konzentrationslagern erschossen, zu Tode gequält und in
Krematorien verbrannt worden sind. Und auch das deutsche
Volk hätte niemals die eigene Freiheit errungen.

Doch noch einen anderen Riss trägt dieser Tag, den zwischen jenen, die ihr Geld aus den Kriegsgewinnen zählen konnten, die ihre Kassen füllten und jenen die den Blutzoll zahlen  mussten. Den kleinen Leuten, die am Ende immer zur Kasse gebeten werden.
Wer ist es, der die Völker gegeneinander aufbringt, sie gegeneinander hetzt?
Die, die sich davon Gewinn versprechen. Wer profitiert vom Hass der Serben auf die Kroaten, wer befördert die Misshelligkeit zwischen Russen und Ukrainern, den Unfrieden überhaupt zu Russland? Die einfachen Menschen auf der Straße? Gewiss nicht!
Was ist es für ein Weg, der den Frieden sichert, fragt ihr? Er ist lang, er ist steinig und viele Mahnmale säumen ihn. Male, welche daran erinnern, das wahre Patrioten nicht die Nationalisten sind, die rufen: Deutsche zuerst, Ukrainer zuerst. Russen zuerst, sondern, die, welche andre Völker so lieben wie das ihre.
Male die uns mahnen an die Kinderhymne von Bert Brecht:

Anmut sparet nicht
 noch Mühe,
Leidenschaft nicht
noch Verstand,
dass ein neues Deutschland blühe, wie ein andres schönes Land.
Das die Völker nicht erbleichen wie vor einer Räuberin, sondern ihm die Hände reichen, so wie andren Völkern hin.

Male, die daran erinnern, dass die Gier, dass die Interessen des einzelnen nicht über denen der vielen stehen dürfen.  
Male, die uns sagen- wir alle sind doch Gleichgesinnte, wir alle sind doch Partner beim Aufbau einer neuen Welt:
Das wäre das Vermächtnis, der Menschen, die ihr Leben in dem grausamen Krieg gegeben haben, die Lehre für uns, besonders uns Deutsche: Schafft den Friedensraum Europa!

Aber das Heute lehrt etwas anderes. Der Zweite Weltkrieg mit seinen unsäglichen Schrecken verblasst im Gedächtnis der Völker, seine Warnung verhallt. Möge sich deshalb jeder von uns bewusst sein, dass die Schicksale aller Völker auf der Erde miteinander verwoben sind und die Verantwortung für ein würdiges Leben der heutigen und der künftigen Bürger unseres Planeten auf unseren Schultern ruht.
Lasst uns den neuen Verführern widerstehen, die die Feindschaft schüren zwischen den Völkern Europas und der Welt. Lasst nicht zu, dass ein Keil getrieben wird zwischen das deutsche und das russische Volk. Lasst nicht zu, dass die neuen Nazis Macht gewinnen. Sorgt mit dafür, dass Armut, Hunger und  Hartz 4 verschwinden, dass es gerecht zugeht auf dieser Welt, sorgt mit dafür, dass keiner mehr Geld verdient am Krieg und Menschen selbst über ihr Schicksal bestimmen können. Haltet die Erinnerung wach und tilgt die Namen derer, die für das Schreckliche verantwortlich waren.
So ist es auch unverständlich, dass Hindenburg, der Steigbügelhalter Hitlers immer noch als Ehrenbürger der Stadt Ilmenau aufgeführt wird.

Denn wir sind heute nicht nur hier, um an die Befreiung vom nationalsozialistischen Terrorregime zu erinnern – sondern auch, damit die Bedeutung von Menschenrechten und demokratischen Werten für uns in der Gegenwart klar wird. Aus dem Erinnern mögen Verpflichtung und Kraft wachsen, dem Hass der alten und neuen Nazis unsere Menschlichkeit und unsere Solidarität entgegen zu setzen.

Wir ehren die kämpferische Heldentat des sowjetischen Soldaten, dem der längste, schwerste und blutigste Weg zum Frieden beschieden war. Wir
verneigen uns vor der Tapferkeit der Soldaten aller Nationen, die in den Reihen der Antihitlerkoalition vertreten waren, vor den Kämpfern des Widerstandes, die geholfen haben, den Faschismus vernichtend zu schlagen.
Ich danke allen, die heute hier sind, gemeinsam der Opfer zu gedenken.

Karl-Heinz Mitzschke, Ortsvereinsvorsitzender Die Linke. Ilmenau