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Paula Palm – ihr Tod reißt eine große Lücke

Knapp sechs Wochen nach dem 73. Geburtstag von dieser Welt gehen zu müssen, ist sehr, sehr schmerzlich, handelt es sich doch nicht erst seit heute um ein Alter, in dem es für den schlimmsten aller Schritte, die ein Mensch in Kauf zu nehmen gezwungen wird, noch viel zu früh ist. Bei Paula Palm hat dieses Schicksal zum nun wirklich ungünstigsten aller nur mit einem Gefühl des Schauderns vorstellbaren Zeitpunkte in seiner ganzen Unbarmherzigkeit zugeschlagen. Sie hing nicht nur am Leben, sie war nicht nur so lebensfroh wie ihre 2001 verstorbene Mutter Paula Bilay, sie wollte vor allem als Stadträtin der Ilmenauer LINKEN noch viele Vorhaben in Bewegung setzen und bereits in Arbeit Befindliches zu Ende führen. An Ideen hatte bei ihr niemals Mangel geherrscht, kannte sie doch die Sorgen und Probleme vieler Bürgerinnen und Bürger, vor allem der seit 1990 ins soziale Abseits Gezwungenen, ebenso wie die von Senioren und Behinderten. So manches hat sie hier auf den Weg gebracht und oftmals waren es dabei die sprichwörtlichen Kleinigkeiten, die am Ende große Wirkung zeigten. Der Beispiele dafür ließen sich viele nennen, so dass hier dieses eine genügen mag, steht es doch gewissermaßen stellvertretend für ihr langjähriges Wirken im Stadtrat und vor allem in dessen Bauausschuss: Die Führung der Buslinie C über Marktstraße und Weimarer Straße mit Einrichtung einer zusätzlichen Haltestelle war eines ihrer Anliegen. Gerade für ältere und behinderte Bürger wurde damit der Weg ins Rathaus und zum Behördenzentrum sehr erleichtert. Wer sonst das eigene Fahrzeug benutzen musste, konnte es nun zu Hause lassen und ersparte sich die oftmals umständliche Suche nach einer freien Parkfläche.

Dass Paula Palm nicht nur über Sachverstand verfügte, sondern auch über ein gerüttelt Maß an Streitbarkeit und Hartnäckigkeit, lag wohl, zu einem Gutteil wenigstens, im Schicksal ihrer Familie begründet: Das Licht der Welt hatte sie am 20. Mai 1943 in der britischen Industriestadt Birmingham erblickt gehabt – nicht deshalb, weil ihre Eltern Paula und Alfred Bilay etwa eine Art vermögende Weltenbummler gewesen wären, sondern ihre Heimat im Böhmischen mit dem Einmarsch der Nazi-Wehrmacht hatten verlassen müssen. Ihr Großvater Josef Chwatal war Mitglied der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, ihr Vater als Jugendlicher des ebenfalls deutsche und tschechische Mitglieder vereinenden Arbeiter-Radfahrer-Bundes der ČSR gewesen. Nun lebten sie ein unstetes Emigrantenleben, waren doch die Behörden des Zufluchtlandes gegenüber Schutzsuchenden deutscher Nationalität äußerst misstrauisch. Es dauerte, bis die Familie frei vom Verdacht, „German Nazis“ zu sein, war, das Internierungslager auf der Insel Man verlassen und sich in Birmingham ansiedeln durfte. Von einer sorglosen Kindheit konnte unter solchen Umständen kaum die Rede sein, zumal ihr Vater als Angehöriger einer im Verband der britischen Streitkräfte gegen den Faschismus kämpfenden tschechoslowakischen Einheit an der Front und daher nur selten zu Hause war. Dennoch taten die Eltern alles in ihrer Kraft Stehende, die eigenen Sorgen von der Tochter und dem 1944 geborenen Sohn Alfred fernzuhalten: Das war so, als die Familie nach der Befreiung vom Faschismus in die Heimat zurückkehrte und feststellen musste, dass sie angesichts des von den Nazis auf lange Zeit vergifteten Verhältnisses zwischen tschechischen und deutschen Einwohnern auch für Widerstandskämpfer zur Fremde geworden war. Das blieb auch nach der Übersiedlung in die Sowjetische Besatzungszone so, wo die Eltern aktiv beim Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung mitwirkten. Frühzeitig lernte sie, Verantwortung zu übernehmen, hatten sich doch mittlerweile drei weitere Geschwister hinzugesellt. Dies galt um so mehr, als ihre Mutter nach dem viel zu frühen Tod des Vaters allein für die Familie sorgen musste. Ebenso wie ihre Eltern und Großeltern war auch Paula politisch sehr interessiert und gesellschaftlich aktiv, leistete in der Schule und später in der SED, in der Gewerkschaft und im DFD ihren persönlichen Beitrag zum Bau einer Frieden und sozialer Gerechtigkeit verpflichteten und daher menschlicheren Ordnung. Als Verkäuferin stand sie nicht nur viele Jahre hinter dem Ladentisch oder saß an der Kasse in der Kaufhalle am Stollen, sie übte ihren Beruf ebenso gern wie mit Sachverstand aus, kannte die Wünsche und Probleme der Kunden, bei denen sie geachtet und anerkannt war, hatte für jede und jeden immer ein freundliches Wort und das auch dann, wenn sich Gewitterwolken zusammenbrauten. Die nicht nur für sie schwärzesten kamen im vom heutigen Politik- und Propagandaapparat als sogenannte „friedliche Revolution“ verklärten Herbst des Jahres 1989. Da wurde nicht nur an dunklen Montagabenden vor der nahen Otto-Grotewohl-Schule auf „bürgerbewegten“ Kundgebungen noch allgemein und unpersönlich „In Bautzen sind noch Zellen frei für die Verbrecher der Partei!“ und „Hängt sie auf!“ gebrüllt. Nein, Paula erlebte in der Kaufhalle ganz persönlich die Anfeindungen und Beleidigungen sowohl von Kolleginnen und schnell ihr Mitgliedsbuch „abgegeben“ habenden Genossinnen, die auf einmal „schon immer gewusst“ haben wollten, dass „es so nicht geht“ und der angeblich „beste Weg“ der Rückfall in die aus der BRD lockende glitzernde Scheinwelt des Kapitalismus wäre. Sie erlebte Anfeindungen und Beleidigungen von vordem immer so gesprächig, nett und freundlich gewesenen Kundinnen und Kunden, denen es plötzlich als „Zumutung“ galt, von einer „Roten“ bedient zu werden. So etwas tagtäglich erleben und ertragen zu müssen, halten nur wenige ohne schwere Verletzungen durch. Auch Paula Palm war schließlich so verzweifelt, dass sie sich, um endlich Ruhe zu haben und ihren „treuhänderisch“ an die bundesdeutsche Handelskette EDEKA verscherbelten Arbeitsplatz behalten zu können, von ihrem Parteibuch trennte. Politisch freilich blieb sie sich ebenso treu wie ihre gemeinsam mit deren Lebensgefährten Kurt Koalick in der PDS aktive Mutter Paula Bilay. Mit der durch Menschen, die dann recht kleinlaut geworden waren, als sie sich allen Illusionen zum Trotz selbst als Opfer des kapitalistischen Umsturzes erleben mussten, erzwungenen Parteilosigkeit hat sich Paula Palm freilich nie abgefunden. Sie gehörte zu denen, die der nunmehrigen Partei DIE LINKE nicht nur schlechthin beitraten, sondern sie zu einer Partei der „Kümmerer“ formten. Für sie war das die Bereitschaft, sich in den Stadtrat wählen zu lassen und dort ihre Kraft zum Wohle der in der Stadt lebenden Menschen einzusetzen. Ihr viel zu früher Tod ist ein schwerer Verlust, nicht nur für ihren Ehemann Arnim Schultz, sondern ebenso für den Stadtverband und die Stadtratsfraktion. Ihr Vermächtnis zu erfüllen, heißt die Lücke, die an jenem für sie verhängnisvollen 8. Juli gerissen wurde, alsbald zu schließen.

H.-J. Weise

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