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70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus

Kein Tag wie dieser wird so gescholten, ist so verhasst und so gepriesen. Keiner wurde so gefürchtet und ersehnt.  An keinem Tag in der neueren deutschen Geschichte scheinen sich die Geister so zu scheiden, die Lager so zu spalten, wie diesen. Ist es der Tag der Befreiung, ist es der Tag der Niederlage,  die Stunde Null, ein Tag des Zusammenbruchs, der  День Победы, der Tag des Sieges, der des Kriegsendes, oder des Neuanfangs?

Eines ist gewiss, 70 Jahre liegt er zurück, dieser 8. Mai, den Menschen so unterschiedlich sehen, etwa  wie es Michael Grandt, Buchautor und Journalist, vor einem Jahr tat, als er schrieb:

„Wer den 8. Mai als »Tag der Befreiung« feiert, feiert damit auch das unsägliche Leid (Millionen von Toten, Vertreibungen, Hungersnöte, Enteignungen usw.), das daraus resultierte.“

Dies, mit Verlaub, ist ein Teil des  alten Lügenliedes, was da gesungen wird, von den geistigen Söhnen der Braunhemden und schwarzen Stürmer,

heute in neuem Gewand aber den alten Text auf den Lippen, das Lied das so geht:

die Alliierten haben mit ihren Bombenhagel Terror ausgeübt, heimtückische Stalin-Partisanen standen gegen tapfere und opferbereite Wehrmachtssoldaten, der deutsche Offiziersstand wird kriminalisiert.

 

Und jeder, der mit leichter Zunge diesem 8. Mai einen anderen Namen gibt, als den der Befreiung muss prüfen, wohin er sich gesellt.

Zu denen von Buchenwald, die gelobten:

 

Wir schwören vor aller Welt an dieser Stätte des faschistischen Grauens:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.

Ob er sich einreiht zu denen, die vom Existenzkampf des deutschen Volkes faseln, oder ob er ins Heer der Gleichgültigen gleitet.

 

 

Ist dieser Tag ein Tag, den wir feiern, wie behauptet? Kann in diesem Tag überhaupt Fröhlichkeit, überschäumendes Glücksgefühl Platz finden?

 

 Ja, der Rotarmist, der GI, der Tommy, sie waren froh, überlebt zu haben, sie waren froh, in die Heimat zu Vater, Mutter, Frau und Kindern zurückkehren zu dürfen, sie wurden befreit von der Angst zu sterben und dem Fluch, töten zu müssen. Sie konnten unter Tränen der Freude von ihren Lieben in die Arme geschlossen werden, während ¼ Millionen amerikanische, 15 Millionen sowjetische, fast 1 Million britische, französische, italienische Mütter  bittere Tränen  vergossen um ihre im Krieg gefallenen Kinder. Und niemand, niemand hat das Recht, die eine Zahl gegen die andere aufzurechnen, und niemand hat das Recht, das Leid der Mütter zum Instrument für seine Zwecke zu machen. Nicht das der deutschen oder das der anderen.

 

Mit diesem 8. Mai wurde den, in den entsetzlichen Lagerhöllen, den finsteren Gestapokellern, den Zuchthauszellen, Gepeinigten, Gedemütigten, Entwürdigten, die Freiheit, ihr Menschsein zurückgegeben, wurde ihnen ein neues Leben geschenkt. Sie werden erleichtert, ja auch froh gewesen sein, wenn sie es noch konnten, wenn noch so viel Kraft in ihnen wohnte.

Bruno Apitz, Schriftsteller und Häftling in Colditz, Sachsenburg Waldheim und 8 Jahre in Buchenwald hat in dem Buch „Nackt unter Wölfen“, diese Zeit verarbeitet. Er lässt den Lagerältesten Bochow über den Lagerfunk rufen:

„Kameraden! Der Sieg ist da! Die Faschisten sind geflohen! Wir sind frei. Hört ihr mich? Wir sind frei!“

Aber die Gedanken der Befreiten gingen auch zurück, zu denen, die diesen Tag nicht mehr erleben konnten, die Mutter, den Vater, die Geschwister, die Verwandten, die Gefährten, Kameraden, Genossen.

Ingrid Strobl greift in ihrem Buch „»Die Angst kam erst danach“, das Schicksal jüdischer Frauen auf und sie beschreibt, wie die jüdische Partisanin Chasia Bielicka-Bornstein am 8. Mai 1945 auf einem Baumstumpf saß, und mit den Tränen kämpfte,  weil sie wusste, dass ihre gesamte Familie ermordet worden war während ihre nicht-jüdischen Kampfgefährten und -gefährtinnen vor Freude in die Luft schossen.

Sechs Millionen Juden, wurden in den Jahren der dunklen Schreckensherrschaft ermordet, sechs Millionen! Geisel in den mit gieriger Hand errafften Ländern erhängt, Roma und Sinti, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, die Widerstandskämpfer: deutsche Kommunisten und Sozialdemokraten, Gewerkschafter, aufrechte Bürger, keiner Ideologie verpflichtet außer der der Menschlichkeit, Christen, Kriegsgefangene, wie Vieh wurden sie in die Kammern getrieben, in die das Zyklon B strömte. Psychisch kranken Menschen wurde die Giftspritze in die Adern gedrückt und denen die sich weigerten, das Gewehr auf andere Menschen zu richten der Todesprozess gemacht. Jeder 10. Deutsche und Österreicher, jeder 6. Pole, jeder 8. Bürger der Sowjetunion kam in diesem Krieg um.

Ja, die Völker der Welt atmeten auf, wenn auch die in Europa besonders, als sich die schwere Last des Leichentuches von ihrem Erdteil hob, der Krematoriumsgestank, entwich. Aber deshalb war doch dieser 8. Mai kein unbedarfter Freudentag. Nein, ein Tag mit all dem behafteten trägt nicht Freude in sich, den kann man nicht feiern ohne Trauer, da trübt die Bitternis den frohen Sinn. Unfroh ist er im eigentlichen, mahnend, ein Tag des Gedenkens und des Erinnerns. Lasst nicht zu, dass das Erbe dieses Tages auf den Bänken des billigen Populismus ausgeschlachtet wird.  

  

Und die anderen? Was war mit den anderen?

Da gab es die Millionen Menschen, die aus Polen, aus der Tschecheslowakei, aus den durch die faschistische Armee eroberten Gebieten Osteuropas ausgewiesen wurden. Da gab es die Tragödien auf der Flucht, den Hunger, die Erniedrigung, den Tod. Da war alles gebrochen was bisher bestand, und Neues nicht in Sicht.

Wurden sie befreit? Nein, sagen sie!

 

Es werden Taten beklagt, passiert in finsterer Zeit, in der es nicht schwer war,  sein Menschsein zu verlieren, und so unendlich schwer Mensch zu bleiben. In den von Grausamkeiten der faschistischen Wehrmacht betroffenen Ländern, wurden Taten, verübt, vom alliierten Soldat, vom Nachbar am Nachbar, von einem, der den Stein aufnahm und dem anderen der es ihm leicht gemacht hatte. Nicht alle waren Täter oder Mitläufer nicht alle hatten sich besudelt, da waren die Kinder, wenigstens die unschuldig, aber es gab keine Gnade, es konnte keine geben, nicht nach dem was geschah. Nicht, nachdem die Unschuld der anderen nur noch eine Rauchfahne war in Auschwitz.

Dass die Vertreiber so voller Galle, dass nicht die Elle der Menschlichkeit angelegen werden konnten, ja, so eben sind  Menschen, sie  können nicht,  bedingungslos verzeihen. 

Dies wäre erst das wirkliche Versprechen einer Befreiung, das der Mensch dem Mensch Bruder und Schwester sei. 

Deshalb müssen wir verstehen.

 

Und wir heißen nichts gut, aber es reicht nicht zu klagen und zu beklagen, es müssen die Umstände verändert werden, die Umstände, die Menschen zu Wölfen machen.    

 

Lasst uns noch einmal fragen, diese Aussiedler, Umsiedler, Vertriebenen, wie sie genannt wurden oder sich nennen- Wurden sie befreit?

 

Ja! Weil ein System, das es honorierte, den Nachbarn zu verachten, zu verraten, wenn gefordert, ihm den Henkern auszuliefern, solch ein System ist nicht des Menschen würdig, ist der Freiheit bar, ist unmenschlich, und  jede Lösung daraus eine Befreiung.  

 

Aber mitmachen musste man nicht.

 

 „Es gibt die Ungeheuer“, schrieb Primo Levi, ein KZ-Überlebender, „aber sie sind zu wenig, als dass sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlich ist, das sind die normalen Menschen."

 

Denn sie waren da, die, deren Körper gefangen und jene, deren Geist es war, gefangen, befangen in den Irrglaube, man könne sich erhöhen, der Balken der Waage sei nicht im Gleichgewicht, wenn man Leben wägt, die sich anmaßten das eigene höher zu schätzen als das der anderen. Aber es bleibt was es war, der untaugliche Versuch,  das eigene Glück auf dem Unglück anderer aufzubauen.

 

Sechs Monate nur lagen zwischen dem schicksalhaften Januar  und dem Zeitpunkt, in denen es gelang die demokratischen Kräfte zu beseitigen, die kritischen Kräfte auszuschalten und  in denen am 15.3. die KPD, und am 22. 6. die SPD verboten wurde. Schon im Frühjahr befanden sich 40.000 politische Gegner in Haft. Und die Deutsche, was taten die Deutschen?

 

Hatte die NSDAP im Januar 1933 noch rund 850.000 Mitglieder besessen, beantragten nach dem 30. Januar und vor allem nach dem 5. März, also nach den Wahlen, Hunderttausende die Aufnahme, so dass schließlich zum 1. Mai bei einem Stand von 2,5 Millionen Mitgliedern ein Aufnahmestopp verfügte wurde, um der zuströmenden Massen Herr zu werden.

 

 „Deutschland, Deutschland über alles“ wurden die Worte Hoffmann von Fallerslebens von ihnen missbraucht und das Horst- Wessel- Lied angeschlossen.

 

Wie wohltuend die Brechtsche Kinderhymne:

 

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's
Und das Liebsten mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.

 

Deshalb kann man, so muss man, von einer Befreiung sprechen, der körperlichen sowie der geistigen.

 

Und es ist eine Vereinbarung der Zivilisationen, ein Konsens, diesen Tag als den der Befreiung zu bezeichnen. Denn wenn für uns die Barbarei des Faschismus unerträglich ist, wenn wir erkennen, dass dieses System Leid ohnegleichen über die Menschheit brachte, dann können wir nur vom Tag der Befreiung sprechen, alles andere ist eine Sicht, die wir nicht tolerieren dürfen.

 

Deshalb sage ich es hier deutlich, wenn in den Medien Personen auftreten, die davon sprechen, dass der eigentliche Tag der Befreiung ja erst im Wendeherbst eintrat, dann muss man ihnen sagen ihr zündelt, ihr seid wieder soweit, die einen gegen den anderen aufzuwiegen.

 

Die Urkatastrophe des deutschen Faschismus kann und darf nicht relativiert werden. 

      

Hier nun sei an die Rede Richard von Weizsäckers erinnern, 1985, in der er mahnte:

„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten.“

Das war unerhört im doppelten Sinne, von einem Bundespräsidenten  bisher. Aber es war an der Zeit.  

Und gleichzeitig erhoben sich die Stimmen, welche dagegen Front machten so die von Hellmut Diwald, Autor und einer der bekanntesten Vertreter der „Neuen Rechten:

Die Unverfrorenheit des Versuchs, uns den 8. Mai 1945 als Datum der Befreiung schmackhaft zu machen, wird nur durch die Schamlosigkeit der Begründungen dafür übertroffen. Der 8. Mai scheint des Schicksals sicher zu sein, im Öffentlichen ein Tag der Heuchelei zu werden. [...]

So hört es sich an, in Deutschland wenn da um die Wahrheit gerungen wird, so schnell ist man wieder unter dem Brandenburger Tor, am Abend des 30. Januars 1933, mit den Fackeln in der Hand, welche die Welt in Brand setzten.  

Ja, er hatte so recht, der Brecht, der in seinem „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ schreibt:

„So was hätt einmal fast die Welt regiert!

Die Völker wurden seiner Herr, jedoch

Dass keiner uns zufrüh da triumphiert -Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“

Zu Papier gebracht endgültig 1941 in den USA, hat es eine gespenstische Prophetie, erlebten wir doch erst vor wenigen Tagen, dass zwar am 8. Mai 1945 Deutschland und die Welt von der Herrschaft der Hitlerschergen befreit wurde, nicht aber von ihrer  Ideologie. Die alten, nach Leichen riechenden Geister gehen um, sie sind vital  und zeigen sich heute zahlreich als neonazistische und faschistische Gruppen oder Organisationen der extremen Rechten. Diese Geister stehen auf in Dresden, und Suhl, in Hildburghausen und ja, auch in Arnstadt. Sie stürmen die Bühnen am 1. Mai und demonstrieren in Erfurt, sie waren in Mölln und Lichtenhagen, sie grölen die alten und neuen Lieder und schlagen zu, so wie die SA- und SS-Horden damals. Und sie finden ihre Anhänger.

Damals standen die am Straßenrand als wohlwollende, zustimmende Kulisse der SA- Ummärsche, reckten die ihre Hände hoch, immer höher, nahmen teil an den Demütigungen der jüdischen Frauen und Männer, behandelten sie nur noch als Luft, versagten die Hilfe und drängten sich, den Hausrat deponierter jüdischer Familien zu erhaschen. Sie stehen dort wieder am Rand der die Mitte bildet, scheiden die, die zu uns gehören von den Fremden.

Oft wird von den Nachfolgenden der Anspruch auf Schuldfreiheit reklamiert, hören wir was  Esther Bejarano, Mitglied im Lagerorchester von Auschwitz, dass spielen musste, wenn sich die dem Todgeweihten aus den Zügen sich durch das Lagertor schleppten dazu sagt:

Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah. Und warum es geschah.“

Und so ist die Weizsäcker Rede angesichts fremdenfeindlicher Protestumzüge in Dresden und anderswo aktuell wie nie: „Hitler hat stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaften und Hass zu schüren. Die Bitte an die jungen Menschen lautet: Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen, gegen Russen oder Amerikaner, gegen Juden oder Türken, gegen Alternative oder Konservative, gegen Schwarz oder Weiß. Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander!“

In Ilmenau bemüht sich ein Netzwerk und viele engagierte Menschen darum dies umzusetzen.

Denn Befreiung ist die Voraussetzung für Freiheit und wie sagte doch Goethe:

„Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“

Lasst uns gemeinsam die Kraft finden die Freiheit der Menschlichkeit zu erobern. Tag für Tag.

Danke dass Sie erschienen sind, dies zu bekunden.

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